Ein aufgehender Stern erstrahlt bei den Armenischen Kulturtagen

Stuttgart – Am 18. Oktober 2025, erlebte das Publikum der Armenischen Kulturtage Stuttgart im Kursaal Bad Cannstatt ein musikalisches Ereignis von seltener Intensität: das Tigran Tatevosyan Trio mit seinem Debütalbum Mer Tan Itev („Hinter unserem Haus“). Der in einer kleinen armenischen Stadt geborene Pianist, nominiert für den Deutschen Jazzpreis 2025 als „Newcomer des Jahres“, präsentierte sich als ein aufrichtiger Geschichtenerzähler, dessen Klangwelt die Grenzen zwischen Tradition und Moderne mit meisterhafter Eleganz überwindet. Dieses Konzert war die Ankündigung eines großen Talents, dessen Name hoffentlich bald auf den großen Bühnen der Welt leuchten wird.

Tatevosyans musikalische Reise begann früh: Mit sechs Jahren startete er eine achtjährige klassische Klavierausbildung, die ihn mit den Werken von Debussy und Rachmaninoff prägte. Doch schon als Jugendlicher entwickelte er eine Leidenschaft für Improvisation, die ihn nach seinem Bachelor dazu trieb, sein Heimatland zu verlassen und den Jazz als künstlerischen Weg zu wählen. 2017 schrieb er sich am Rachmaninow-Konservatorium in Rostow ein, wo er einen Master in Jazz-Klavier absolvierte, inspiriert von Giganten wie Oscar Peterson, Herbie Hancock, Chick Corea, Lyle Mays und Keith Jarrett. 2020 zog er nach Hamburg, um im Dr. Langner Jazz Master Programm an der HfMT unter Meistern wie Vladyslav Sendecki und Florian Weber zu studieren. Auf der Bühne stand er bereits mit Legenden wie Bob Moses, Nils Landgren und China Moses – ein beeindruckendes Fundament, das sich gestern in jeder Note widerspiegelte.

Unterstützt von Amir Bresler am Schlagzeug und Omar Rodriguez Calvo am Bass, entfaltete das Trio eine Klangpalette von höchster Qualität. Mer Tan Itev vereint die melodische Tiefe der armenischen Musiktradition – geprägt von Komitas’ folkloristischen Mustern – mit dem pulsierenden Drive des modernen Jazz. Stücke wie „Celebration“ explodierten in groovenden Rhythmen, während „Forgotten City“ mit melancholischer Introspektion fesselte. Tatevosyans Spiel, eine filigrane Balance aus klassischer Präzision und freier Improvisation, wurde von Breslers dynamischem Beat und Calvos tiefem, erdendem Bass perfekt ergänzt. „Ein aufrichtiger Geschichtenerzähler mit reifer Stimme“, wie o-tone music treffend notierte, strahlte hier eine Authentizität aus, die das Publikum in seinen Bann zog.

Der Höhepunkt des Abends war die Weltpremiere eines noch unvollendeten Werks – ein faszinierendes Stück, das die armenische Seele mit moderner Komplexität verschmilzt. In einer wunderschönen Interpretation wob Tatevosyan modale Strukturen mit jazzigen Harmonien, die an die besten Momente von Bill Evans erinnern, doch mit einem unverkennbaren armenischen Flair. Die Komposition, noch roh, doch bereits meisterhaft, versprach ein Meisterwerk in spe – ein Zeugnis seiner unermüdlichen Suche nach künstlerischer Vollendung. Stehender Applaus belohnte das Trio, und die Energie im Raum ließ erahnen: Tigran Tatevosyan ist ein Stern, der noch hell leuchten wird.