Zwischen Tradition und Jazz
Ein Porträt von Tigran Tatevosyan
Wer dem Pianisten Tigran Tatevosyan zuhört, spürt sofort: Hier spricht jemand eine doppelte Sprache. Es ist die Sprache der armenischen Volksmusik – voller Rhythmen, Melodien und Farben –, und zugleich die Sprache des modernen Jazz, geprägt von Freiheit, Improvisation und Energie. In dieser Verbindung liegt der Zauber seines Spiels.
Frühe Jahre in Armenien
Geboren in einer kleinen Stadt Armeniens, begegnete Tatevosyan der Musik schon im Kindesalter. Mit sechs Jahren begann er eine achtjährige klassische Klavierausbildung an einer Spezialschule in Eriwan. Parallel dazu entdeckte er früh seine Leidenschaft für die Improvisation. Diese Doppelspur – Klassik und Jazz – sollte ihn nie mehr verlassen.
Nach seinem Bachelorabschluss entschied er sich, den Jazz zu seinem künstlerischen Weg zu machen. 2017 schrieb er sich am Rachmaninow-Konservatorium in Rostow am Don ein, um Jazzklavier zu studieren. Dort vertiefte er sich zunächst in das Werk Oscar Petersons, ehe er sich von Größen wie Herbie Hancock, Chick Corea, Keith Jarrett und Lyle Mays inspirieren ließ. Doch auch Debussy und Rachmaninow blieben ständige Wegbegleiter.
Der Schritt nach Deutschland
2020 zog Tatevosyan nach Hamburg, um im Dr. Langner Jazz Master Programm der Hochschule für Musik und Theater zu studieren. Dort begegnete er Lehrern wie Vladyslav Sendecki und Florian Weber, die ihn prägten. Zugleich begann er, seine eigene Stimme zu formen – eine, die Klassik, Jazz und armenische Tradition miteinander verschmilzt. Bald teilte er die Bühne mit Künstlern wie Bob Moses, Nils Landgren und China Moses.
„Mer Tan Itev“ – das Debüt
2022 nahm Tatevosyan gemeinsam mit Ziv Ravitz (Schlagzeug) und Giorgi Kiknadze (Bass) sein Debütalbum Mer Tan Itev auf – auf Deutsch: „Hinter unserem Haus“. Der Titel deutet an, wie sehr Heimat, Erinnerung und Herkunft seine Musik prägen. Das Album, 2024 beim Label o-tone erschienen, vereint eigene Kompositionen und Bearbeitungen armenischer Volkslieder mit der Sprache des zeitgenössischen Jazz.
„Ich hoffe, dieses Album gibt den Menschen das Gefühl, verbunden zu sein, Teil von etwas Größerem“, sagt Tatevosyan. Genau diese Mischung aus Intimität und universellem Anspruch brachte ihm 2025 die Nominierung für den Deutschen Jazzpreis in der Kategorie „Newcomer des Jahres“ ein.
Klangwelt zwischen Armenien und Jazz
Tatevosyans Musik balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Seele und Intellekt. Seine Rhythmen sind komplex, doch nie selbstverliebt; seine Melodien innig, ohne sentimental zu wirken. Er schöpft aus der Sprache der armenischen Folklore und übersetzt sie in die offene Grammatik des Jazz. So entsteht eine Musik, die vertraut und zugleich neu wirkt – eine Brücke zwischen Kulturen.
Stuttgart 2025 – Jazz trifft Heimat
Am 18. Oktober 2025 tritt Tigran Tatevosyan mit seinem Trio im Rahmen der Armenischen Kulturtage Stuttgart auf. Gemeinsam mit Omar Rodriguez Calvo (Bass) und Amir Bresler (Schlagzeug) präsentiert er im Kleinen Kursaal sein Programm Mer Tan Itev. Ein Konzert, das armenische Tradition mit modernem Jazz verschränkt – und dabei das Publikum mitnimmt auf eine Reise vom Kaukasus bis in die Gegenwart.
In der Pause werden armenische Weine ausgeschenkt – ein sinnlicher Rahmen für eine Musik, die Grenzen überschreitet und Welten verbindet.