Die Dichterin des Klaviers
Ein Porträt von Lusine Khachatryan
„She is a superb pianist, with a big sound and fiery technique“, schrieb die New York Times. Doch wer Lusine Khachatryan einmal live gehört hat, weiß: Das Zitat beschreibt nur einen Teil ihrer Kunst. Denn hinter der brillanten Virtuosität dieser armenischen Pianistin verbirgt sich ein poetisches Klanguniversum, das die Zuhörer in Geschichten, Sehnsüchte und innere Welten entführt. Nicht umsonst gilt sie in der Musikwelt längst als „Dichterin des Klaviers“.
Wurzeln und Ausbildung
In eine Musikerfamilie hineingeboren, erhielt Lusine Khachatryan ihren ersten Klavierunterricht von ihren Eltern, den Pianisten Irina Hovhannisyan und Vladimir Khachatryan. Musik war für sie kein fremdes Handwerk, sondern Muttersprache. Zwischen 2001 und 2008 studierte sie an der Musikhochschule Karlsruhe und erwarb gleich zwei Masterabschlüsse – im Hauptfach Klavier bei Prof. S. Speidel und in Kammermusik bei Prof. Dr. S. Tatubaeva. Schon früh fiel sie durch ihre Klangkultur und ihren Ausdruckswillen auf.
Preise und Wettbewerbe
Khachatryans Weg ist gesäumt von Auszeichnungen: Sie erhielt den Musikförderpreis des Kulturfonds Baden e.V., das Jahreshauptstipendium des Freundeskreises der Musikhochschule Karlsruhe und den Sonderpreis der Deutschen Stiftung Musikleben. Dazu kamen internationale Erfolge, etwa bei den Klavierwettbewerben „Città di Ostra“ und „Città di Marsala“ in Italien oder beim „Concours Européen de Piano“ in der Normandie. Diese Erfolge öffneten ihr die Türen zu den großen Bühnen der Welt.
Bühnen der Welt
Ihre Konzertreisen führten sie in die berühmtesten Säle: Alte Oper Frankfurt, Herkulessaal München, Liederhalle Stuttgart, Laeiszhalle Hamburg, Tonhalle Zürich, Concertgebouw Amsterdam, Wigmore Hall London, Carnegie Hall New York, Théâtre des Champs-Élysées Paris, Palau de la Música Barcelona oder die National Concert Hall Dublin – die Liste ließe sich fortsetzen. Überall zieht sie das Publikum mit einer Mischung aus technischer Brillanz und innerer Intensität in Bann.
Als Solistin spielte sie mit Orchestern wie der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, dem Orchestre Régional de Cannes, dem Sinfonia Varsovia oder dem Armenischen Philharmonischen Orchester. Doch auch die kammermusikalische Zusammenarbeit liegt ihr am Herzen.
Musik als Familienband
Besonders innig ist das künstlerische Band zu ihrem Bruder, dem Geiger Sergey Khachatryan. Gemeinsam veröffentlichte das Duo 2002 eine Debüt-CD bei EMI Classics. Es folgten Einspielungen der Violinsonaten von Franck und Schostakowitsch, später die Gesamteinspielung der Brahms-Sonaten (2013) sowie das Album My Armenia (2015), das armenischen Komponisten gewidmet ist und mit einem ECHO Klassik ausgezeichnet wurde. In diesen Aufnahmen vereint sich technische Präzision mit jener Wärme, die nur aus echter Vertrautheit erwachsen kann.
Klaviertheater – eine neue Kunstform
Im Jahr 2012 schlug Lusine Khachatryan einen außergewöhnlichen Weg ein: Sie erfand das „Klaviertheater“, eine Symbiose aus Schauspielkunst und klassischer Klaviermusik. Hier wird Musik in eine theatralische Welt hineingestellt, wodurch sie eine neue Dimension gewinnt. Werke wie Maria Stuart nach Schiller, Chopin, Clara Wieck spielt Schumann oder das Stück ԿԱՐՈՏ / „Sehnsucht“ über Armenien zeigen ihre Lust, Grenzen zu überschreiten und Klang als szenisches Erlebnis erfahrbar zu machen.
Die armenische Stimme am Klavier
So international ihre Karriere ist, so sehr bleibt ihre armenische Identität präsent. Mit My Armenia gab sie den Stimmen ihrer Heimat einen unverwechselbaren Platz im internationalen Musikleben. Für Khachatryan ist Musik mehr als Virtuosität: Sie ist Erinnerung, Identität und Brücke zwischen Kulturen. „Im Klang steckt unsere Geschichte“, sagte sie einmal. „Und jedes Konzert ist eine Gelegenheit, diese Geschichte zu erzählen.“
Stuttgart 2025 – ein besonderer Abend
Am 16. Oktober 2025 wird Lusine Khachatryan gemeinsam mit der Sopranistin Karine Babajanyan die Armenischen Kulturtage Stuttgart eröffnen. In der Evangelischen Markuskirche schlagen sie den Bogen von Verdi und Strauss über Gershwin bis zu armenischen Komponisten wie Komitas. Für Khachatryan, die in Stuttgart seit Jahren künstlerisch verwurzelt ist, bedeutet dieser Abend eine Heimkehr – und für das Publikum die seltene Chance, eine Pianistin zu erleben, die gleichermaßen Virtuosin, Erzählerin und Brückenbauerin ist.