Die Stimme, die Brücken schlägt

Ein Porträt von Karine Babajanyan

Es gibt Stimmen, die den Raum erfüllen – und solche, die das Herz berühren. Karine Babajanyan gehört zweifellos zu jener seltenen Kategorie, die beides vermag. Die armenische Sopranistin, längst international gefeiert, trägt in jeder Phrase eine Mischung aus dramatischer Intensität und lyrischer Wärme. Sie ist eine Sängerin, die Oper nicht nur aufführt, sondern erlebbar macht: als lebendige Kunst, als seelische Erfahrung.

Von Eriwan in die Welt

Geboren in Armenien, hat Babajanyan ihr Handwerk zunächst am Konservatorium von Eriwan mit Auszeichnung abgeschlossen. Früh zeigte sich ihr Talent, nicht nur für die großen Partien, sondern auch für das Detail, für jene Zwischentöne, die eine Figur aus Fleisch und Blut formen. Später verfeinerte sie ihre Kunst in Rom bei Mirella Parutto und in Stuttgart bei Dunja Vejzovic – zwei Lehrerinnen, die ihr Gespür für Ausdruck und Stimmfarben weiter schärften.

Ihre ersten Schritte führten sie ans Nationaltheater in Eriwan, doch schon bald zog es sie nach Deutschland. Ab 2003 wurde sie festes Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart, wo sie acht Jahre lang die Bühne mit jenen Gestalten füllte, die Opernliebhaber auf der ganzen Welt kennen: die Gräfin in Mozarts Le nozze di Figaro, Tatjana in Tschaikowskys Eugen Onegin, Leonora in Verdis Il trovatore oder Cio-Cio San in Puccinis Madama Butterfly. Jede Rolle, so scheint es, schuf sie mit einem ganz eigenen Atem.

Die Kunst der Verwandlung

Was Babajanyan auszeichnet, ist die Spannweite ihres Repertoires. Sie ist keine Sängerin, die sich auf ein Fach beschränkt. Puccini, Verdi, Mozart, Tschaikowsky, Wagner – sie alle haben in ihr eine glaubwürdige Interpretin gefunden. So war sie als Tosca am Opernhaus in Zürich ebenso zu erleben wie als Aida in Hannover oder als Norma in Basel. Ihre Bühnen führten sie nach München, Wien, Berlin, Tel Aviv, Tokyo, bis hin zum Opernhaus in Mexiko-Stadt und zum Puccini-Festival in Torre del Lago, jenem magischen Ort, an dem der Komponist selbst einst lebte.

Ein Höhepunkt ihrer Karriere war sicherlich die Zusammenarbeit mit einigen der bedeutendsten Dirigenten unserer Zeit – Adam Fischer, Nicola Luisotti, Daniel Oren, Carlo Rizzi. Doch auch die Begegnungen mit Regisseuren wie Peter Konwitschny oder Graham Vick formten sie: „Eine Rolle ist nie fertig“, sagt Babajanyan, „sie wächst mit jeder Begegnung, mit jedem neuen Blick.“

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Eine Stimme zwischen Drama und Lyrik

Wer Karine Babajanyan auf der Bühne erlebt, wird schnell merken, dass ihre Stimme ein seltenes Gleichgewicht hält: Sie besitzt das Metall, das den großen dramatischen Partien Stand verleiht, zugleich aber eine Wärme, die jede Kälte vertreibt. Ihre Mimì in La Bohème weint nicht nur, sie liebt, sie hofft, sie trotzt – und ihr „Addio senza rancor“ bleibt in der Erinnerung wie ein schwebender Faden. In Puccinis Madama Butterfly wiederum verkörpert sie eine Cio-Cio San, die an Zartheit und innerer Kraft zugleich kaum zu übertreffen ist.

Und dann ist da noch ihre Vielseitigkeit: Ein Abstecher ins Kino führte sie 2008 sogar auf die Leinwand, als sie im James-Bond-Film Ein Quantum Trost während der Bregenzer Tosca-Aufführung zu hören und zu sehen war. Ein kurzes, aber unvergessliches Glänzen im Crossover von Oper und Popkultur.

Neue Wege, neue Farben

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Babajanyan keineswegs stehenbleibt. Als Sieglinde in Wagners Walküre eroberte sie beim Wagner-Festival in Budapest die Herzen, mit Schreker, Strauss und gar selten gespielten Werken wie Mascagnis Iris erweitert sie beständig ihr Repertoire. Für Iris erhielt sie gar eine Nominierung beim renommierten OPUS Klassik.

Im Jahr 2025 veröffentlichte sie ihr Album Sentimenti bei Naxos – eine intime Aufnahme mit dem Pianisten Alessandro Amoretti, in der sie Arien und Lieder in all ihrer Farbigkeit erstrahlen lässt. Am 22. November wird sie dieses Werk im Budapest Music Center präsentieren. Man spürt: Diese Sängerin sucht stets nach neuen Ausdrucksformen, ohne den großen Traditionen untreu zu werden.

Heimkehr im Klang

So international ihre Karriere auch ist, eines bleibt für Karine Babajanyan zentral: ihre armenischen Wurzeln. Immer wieder integriert sie Kompositionen aus Armenien in ihre Programme, widmet sich den Liedern von Komitas oder Khachaturian. Es ist eine leise Form der Heimkehr – und zugleich eine Botschaft: Kultur ist Brücke, sie verbindet Welten.

Gerade deshalb wirkt es wie eine glückliche Fügung, dass sie am 16. Oktober 2025 die Armenischen Kulturtage Stuttgart eröffnen wird. Gemeinsam mit der Pianistin Lusine Khachatryan, die ihrerseits zu den feinsten Interpretinnen armenischer Musik zählt, schlägt sie den Bogen von Verdi, Puccini und Strauss bis zu Gershwin und Komitas. Ein Abend, der nicht nur die Stimme einer großen Künstlerin feiert, sondern auch die Vielschichtigkeit einer Kultur, die zwischen Tradition und Moderne pulsiert.

Ein Blick voraus

Wenn man Karine Babajanyan heute zuhört, begreift man, dass ihre Kunst nicht allein in der technischen Brillanz liegt – so meisterhaft sie auch ist. Es ist vielmehr ihre Fähigkeit, Menschlichkeit durch Klang zu vermitteln. Ob in Mailand, Berlin oder Stuttgart: Sie singt nicht für die Ewigkeit der Opernhäuser, sondern für die Gegenwart der Zuhörer.

Und so darf man sich freuen, dass sie, die längst die großen Bühnen erobert hat, nun in Stuttgart jene Nähe suchen wird, die nur ein Konzertsaal, nur eine Kirche im Moment des Erklingens schenken kann. Dort, wo die Stimme den Raum füllt, bis sie sich wie ein unsichtbarer Faden um jeden legt, der zuhört.


Hinweis: Am 16. Oktober 2025 eröffnet Karine Babajanyan gemeinsam mit Lusine Khachatryan (Klavier) die Armenischen Kulturtage Stuttgart. Das Konzert findet um 19:30 Uhr in der Evangelischen Markuskirche (Filderstraße 22, Stuttgart) statt. Auf dem Programm: Werke von Verdi, Puccini, Strauss, Gershwin und Komitas. Eintritt: 22,50 € / 18,50 €.