Interview mit Mher Navoyan

dem künstlerischen Leiter des Geghard Ensembles

Im Rahmen der Armenischen Kulturtage Stuttgart 2024 erwartet das Publikum am 18. Oktober ein besonderes Highlight: Das weltweit gefeierte Geghard Ensemble wird in der Gedächtniskirche Stuttgart auftreten. Die Armenischen Kulturtage bieten in diesem Jahr unter dem Motto „Mit Wurzeln in der Vergangenheit, offen für die Zukunft“ eine Plattform für den Dialog der Kulturen. Das Geghard Ensemble, unter der Leitung von Mher Navoyan, verkörpert genau diesen Geist, indem es die uralte armenische Musiktradition mit einem modernen Ansatz verbindet.

Geghard Ensemble

Besuchen Sie das Konzert und erleben Sie die armenische Kirchen- und Volksmusik in einer besonderen Darbietung.

Bekannt für seine einzigartigen Interpretationen armenischer Sakral- und Volksmusik, wird das Ensemble das Stuttgarter Publikum auf eine spirituelle Reise mitnehmen, die tief in der Tradition der Armenischen Apostolischen Kirche verwurzelt ist. Es ist eine seltene Gelegenheit, die tiefgreifende und zeitlose Schönheit der armenischen Musik in einem solch erhabenen Rahmen zu erleben.

Vor diesem besonderen Ereignis hatten wir die Ehre, mit Mher Navoyan, dem künstlerischen Leiter des Geghard Ensembles, über die Bedeutung der Sakralmusik, die Arbeit des Ensembles und seine besondere Beziehung zu Stuttgart zu sprechen.

Interview mit Mher Navoyan,
dem künstlerischen Leiter des Geghard Ensembles

AKTS 2024:
Das Geghard Ensemble hat sich international einen Namen gemacht und berührt das Publikum weltweit. Was zeichnet dieses Ensemble besonders aus und wie unterscheidet es sich von anderen Chören?

Navoyan:
Die Einzigartigkeit des Geghard Ensembles liegt in den klar definierten künstlerischen Zielen, die wir von Anfang an gesetzt haben. Ich bin überzeugt, dass der Erfolg vieler künstlerischer Ensembles in der präzisen Festlegung ihrer eigenen künstlerischen Aufgaben und der konsequenten Verfolgung dieser Ziele liegt. Professionelle Musiker müssen zweifellos alle wesentlichen Bereiche der akademischen Musik beherrschen, aber der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Spezialisierung auf bestimmte Genres oder Werke. Im Fall des Geghard Ensembles haben wir uns auf zwei Hauptzweige der armenischen Musik konzentriert: die geistliche und die volkstümliche Musik. Diese beiden Stränge sind für uns Armenier von existenzieller Bedeutung, da sie unser Wesen und unsere Identität widerspiegeln. Sie bieten uns die Möglichkeit, der Welt authentisch zu begegnen.

AKTS 2024:
Die armenische Sakralmusik hat eine jahrhundertealte Tradition und ist eng mit der Geschichte der Armenischen Apostolischen Kirche verbunden. Welche Rolle spielt diese Musik im Repertoire Ihres Ensembles und wie prägt sie Ihre Arbeit?

Navoyan:
Sie haben völlig recht: Die armenische Sakralmusik ist untrennbar mit der Armenischen Apostolischen Kirche verbunden. Wie jede religiöse Kunst hat auch unsere geistliche Musik ihren Ursprung in den liturgischen Erfordernissen. Das Geghard Ensemble ist fest in dieser Tradition verankert. Jeden Sonntag und an Feiertagen nehmen wir an der Liturgie im Geghard Kloster teil. Der enge Kontakt zur sakralen Praxis und die ständige Teilnahme an den kirchlichen Riten machen die Aufführung dieser Musik zu einer natürlichen und organischen Angelegenheit für uns. Hinzu kommt, dass wir uns intensiv mit der Geschichte und Theologie der Armenischen Kirche auseinandersetzen, was unsere Interpretation dieser Musik entscheidend beeinflusst.

Prof. Mher Navoyan, Musikwissenschaftler und Experte für armenische mittelalterliche Musik, ist Leiter des wissenschaftlichen Rates des Komitas Museums in Eriwan und künstlerischer Leiter des Geghard Vokalensembles. Er hat zahlreiche Werke zur Geschichte der armenischen Musik verfasst.

AKTS 2024:
Die Armenische Apostolische Kirche ist eine der ältesten christlichen Kirchen der Welt. Wie spiegelt sich dieses spirituelle Erbe in der Musik wider, die Sie mit Ihrem Ensemble aufführen?

Navoyan:
Die Armenische Apostolische Kirche zählt tatsächlich zu den ältesten Institutionen des Christentums, und ihre geistliche Kunst spiegelt diese tiefe Geschichte wider. Die Entwicklung der armenischen Sakralmusik ist untrennbar mit der Geschichte der Kirche verbunden. Bereits im 4. Jahrhundert, als das Christentum in Armenien verbreitet wurde, begannen sich die ersten Elemente der liturgischen Musik herauszubilden. Die Wurzeln unserer geistlichen Musik reichen zurück bis zur Psalmengesangstradition der frühen Kirche. Ab dem 5. Jahrhundert, mit der Schaffung des armenischen Alphabets durch den heiligen Mesrop Mashtots, begann die geistliche Musik eine systematischere Entwicklung. Viele der größten Komponisten dieser Musik stammen aus dieser Zeit, und ihre Werke prägen bis heute die liturgischen Gesänge in Armenien.

AKTS 2024:
Was macht die armenische Sakralmusik für Sie so einzigartig, und worin unterscheidet sie sich von anderen christlichen musikalischen Traditionen?

Navoyan:
Unser großer Komponist Komitas, der als Vater der armenischen klassischen Musik gilt, erkannte, dass die armenische geistliche und weltliche Musik wie „Bruder und Schwester“ sind. Die wesentlichen Merkmale der armenischen Sakralmusik stammen aus der musikalischen Denkweise des armenischen Volkes. Diese Musik ist tief verwurzelt in der Volksseele, und das verleiht ihr eine einzigartige Authentizität. Gleichzeitig weist sie eine bestimmte archaische Klangfarbe und einen leichten orientalischen Ton auf, was sie von anderen christlichen Traditionen unterscheidet. Dennoch hat sie eine Klarheit und Struktur, die stark an die europäische Musiktradition erinnert. In gewisser Weise verkörpert sie die Rolle Armeniens als Brücke zwischen Ost und West, was auch in unserer Musik reflektiert wird.

AKTS 2024:
Das Motto der diesjährigen Armenischen Kulturtage lautet „Mit Wurzeln in der Vergangenheit, offen für die Zukunft“. Wie sehen Sie die Rolle der Sakralmusik im heutigen Armenien, und wie schaffen Sie es, diese jahrhundertealte Tradition lebendig zu halten und zu modernisieren?

Navoyan:
Die Synthese von Tradition und Moderne ist ein zentraler Aspekt unserer Arbeit. Die Komponisten, deren Werke wir aufführen, schöpfen aus der jahrhundertealten Tradition der armenischen Sakralmusik, aber sie schaffen gleichzeitig neue, eigenständige Werke. Komitas beispielsweise hat armenische mittelalterliche Melodien verwendet und sie mit modernen Harmonien kombiniert. Auch die heutigen Komponisten schaffen etwas Ähnliches: Sie greifen auf die klassischen liturgischen Texte zurück, aber ihre Musik ist neu und zeitgenössisch. So gelingt es uns, die armenische Sakralmusik lebendig zu halten und sie zugleich in die Gegenwart zu transportieren.



AKTS 2024:
Sie haben weltweit Konzerte gegeben. Welche Bedeutung hat Deutschland, insbesondere Stuttgart, für das Geghard Ensemble und welche Verbindungen bestehen zur deutschen Musikszene?

Navoyan:

Unsere Kontakte mit Deutschland begannen in den 2000er Jahren, als unter der Schirmherrschaft der UNESCO eine Verbindung zwischen dem Kloster Geghard und dem Kloster Lorsch in Deutschland entstand. Besonders hervorzuheben sind dabei Herr Ernst-Ludwig Drayß und Dr. Hermann Schefers, die diese Zusammenarbeit initiierten.

Dank Herrn Dreys und der von ihm gegründeten Organisation „NOAH“ gab es in den folgenden Jahren zahlreiche Tourneen in Deutschland und Österreich. Seit 2018 fungiert der Geghard-Chor als kultureller Ehrenbotschafter der „Stiftung UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Lorsch“.

Unsere Konzerte in Stuttgart wurden durch die Unterstützung von Herrn Ernst-Ludwig Drayß und Johannes Kärcher ermöglicht, die auch unsere Teilnahme am „Bachakademie Stuttgart“-Festival förderten.

Die Armenischen Kulturtage Stuttgart, gegründet durch Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan, der Armenischen Gemeinde Baden-Württemberg, mit unterstützt von unseren deutschen Freunden, präsentiert die armenische Kultur auf höchstem künstlerischen Niveau und unterscheidet sich damit von vielen anderen Diaspora-Veranstaltungen. Wir freuen uns, erneut Teil dieses einzigartigen Kulturereignisses zu sein.

AKTS 2024:
Welche Rolle spielt das Geghard Ensemble als kultureller Botschafter Armeniens? Sehen Sie Ihre Arbeit als Teil eines breiteren Dialogs zwischen Armenien und der Welt?

Navoyan:
Es mag hochtrabend klingen, uns als kulturelle Botschafter Armeniens zu bezeichnen, aber unser Ziel ist es, die tiefen spirituellen und kulturellen Werte unseres Volkes auf der internationalen Bühne zu präsentieren. Wir sehen unsere Arbeit als Brücke zwischen Armenien und der Welt, und durch die Musik wollen wir die Menschen dazu einladen, unser reiches kulturelles Erbe zu entdecken und zu schätzen.

AKTS 2024:
Was können die Zuschauer in Stuttgart von Ihrem Konzert erwarten? Welche spirituellen und musikalischen Erfahrungen möchten Sie dem Publikum vermitteln?

Navoyan:
Unser Konzert in Stuttgart wird sowohl geistliche als auch weltliche Werke umfassen. Die geistlichen Stücke werden größtenteils Werke zeitgenössischer armenischer Komponisten sein, die auf den liturgischen Traditionen unserer Kirche basieren, aber zugleich eine moderne Musiksprache verwenden. Wir hoffen, dass das Publikum die tiefe spirituelle Bedeutung dieser Werke spüren wird. Sakralmusik ist nicht nur Kunst, sie ist auch Gebet – und wenn dieses Gebet aufrichtig dargeboten wird, kann es die Herzen der Menschen auf besondere Weise berühren.


Fazit

Das Konzert des Geghard Ensembles im Rahmen der Armenischen Kulturtage Stuttgart verspricht ein außergewöhnliches musikalisches und spirituelles Erlebnis zu werden. Lassen Sie sich diese einzigartige Gelegenheit nicht entgehen und erleben Sie die armenische Sakralmusik in ihrer reinsten Form am 18. Oktober in der Gedächtniskirche Stuttgart.